Wie extrem Rechte durch Kampfsport versuchen Jugendliche zu erreichen

Beitrag vom 13.12.2022

Warum Kampfsport innerhalb der extremen Rechten eine zunehmende größere Rolle spielt

Im September 2022 bestätigt das Verwaltungsgericht Dresden das Verbot des „Kampf der Nibelungen“ von 2019.[1] Der „Kampf der Nibelungen“ (KdN) ist in den letzten Jahren zum größten rechten Kampfsportevent in Deutschland angewachsen. Ebenfalls im September 2022 fällt das Landgericht Mühlhausen ein ausgesprochen mildes Urteil gegen zwei Neonazis, die im Jahr 2018 einem Journalisten mit einem Schraubenschlüssel den Schädel einschlugen und einem weiteren ein Messer ins Bein stachen.[2] Die beiden Urteile zeigen auf, dass Kampfsport und Gewalt innerhalb des extrem rechten Milieus Hand in Hand gehen. Diese Erkenntnis ist keineswegs überraschend oder neu. Seit Jahren mehren sich die Berichte über rechte Gruppierungen, die für einen Tag X Vorbereitungen treffen. Die Vorbereitungen reichen vom Horten von Waffen und Lebensmitteln über die Sammlung von Informationen über politische Gegner und eben Wehrsport- und Kampfsporttrainings. Warum spielt Kampfsport seit einigen Jahren innerhalb der extremen Rechten eine zunehmende größere Rolle?[3]

 „Klagt nicht, kämpft!“ ist eine Parole, die in verschiedenen rechten Milieus als Aufdruck auf Merchandise-Produkten zu finden ist. Der Ursprung der Parole ist nicht ganz klar, jedoch wird immer wieder behauptet, sie sei von den Fallschirmjägern der Wehrmacht genutzt worden.[4]  Das Statement ist deswegen so beliebt, weil es zentrale rechte Ideologieelemente verdichtet. Zum einen wird ein Männlichkeitsbild bedient, welches sich klar abgrenzt von vermeintlich weiblichen Attributen. Der rechte Mann ist bereit für den Kampf, er steht seinem vermeintlichen Leid nicht passiv gegenüber, sondern handelt aktiv. Für Rechte wird „klagen“ mit Weiblichkeit assoziiert. Frauen seien unterwürfig, passiv und nicht in der Lage das Schicksal in die Hand zu nehmen. Neben dem klaren Rollenverständnis knüpft die Parole an darwinistische Haltungen an, nach denen auszusterben droht, wer nicht um sein Überleben kämpft. Übertragen auf rassistische Überzeugungen, nach denen die weiße „Rasse“ mehr wert sei als andere, müsse entsprechend ihre Vorherrschaft verteidigt werden. Daran knüpfen Bilder von soldatischen Männerbünden an, die bereit sind, alles für ihr Volk zu geben und unbedingt gehorsam zu sein.

Um diese Einstellungen zu fördern entwickelte sich Kampfsport zu einem Teil rechter Metapolitik. Diese Metapolitik soll einen Kulturkampf bzw. eine Kulturrevolution herbeiführen, die rechtes Gedankengut verbreitet und normalisiert. Verschiedene Anliegen verbinden sich in diesem Kontext:

  • Ein immerwährender Kampf soll als gesellschaftlicher Normalzustand dargestellt werden.
  • Die Definition von Pazifismus als Kollaboration mit dem Feind soll nach innen für Disziplin sorgen und die eigenen Leute gegenüber der Gesellschaft abgrenzen.
  • Gewalt soll als Mittel zur Durchsetzung von politischen Zielen normalisiert werden.

Bei einem Blick in die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020 ist erkennbar, dass 10% der deutschen Bevölkerung bereit sind körperliche Gewalt anzuwenden um ihre Interessen durchzusetzen. 16% würden zwar selbst keine Gewalt anwenden, finden es aber gut, wenn es andere tun.[5] Dieses Potential, so besorgniserregend es sein mag, zu vergrößern ist Ziel des Kulturkampfes. Dafür bietet der Kampfsport verschiedene Möglichkeiten.

1.    Ideologieschule

Als erstes dienen extrem rechte Kampfsportevents wie der oben angesprochene „Kampf der Nibelungen“ als Ideologieschule. Der Social-Media-Auftritt des Events beschränkt sich nicht auf Ankündigungen der nächsten Termine oder das Vorstellen des Programms, sondern verbreitet Trainingstipps für Nationalisten und verehrt Taten der Wehrmacht oder der SS im eigenen Newsfeed. So wird die eigene Ideologie durch stetes Wiederholen gefestigt und an Interessierte herangetragen.

Aufbauend auf dieser Art der Propaganda und mit Trainingstipps tauchen dann Einzelpersonen der extremen Rechten in Kampfsportstudios und Vereinen auf und versuchen dort ihre Ideologie zu verbreiten. Dies kann geschehen durch das Tragen einschlägiger Modemarken oder Aufschriften auf T-Shirts oder in einem kurzen Gespräch nach einer Trainingseinheit. Hier wird versucht für die eigene Szene Nachwuchs zu gewinnen. Gerade bei jungen Menschen, die selbst auf der Suche ihrer eigenen Identität sind, können Vorbilder, die nicht gerade aus dem eigenen Elternhaus stammen einen großen Sozialisationseffekt entwickeln. Beim Kampfsport ist Vertrauen zum Trainingspartner oder der Trainingspartnerin wichtig. Schließlich muss man sich sicher sein, dass einem das Gegenüber nicht tatsächlich die Nase bricht und in dem Moment aufhört, bevor es richtig weh tut. Dieses Vertrauen als Basis bieten die Möglichkeiten mit jungen Menschen eine Beziehung aufzubauen, über die Zeit hinweg diese mit ideologischen Versatzstücken zu füttern und nach und nach anderen Menschen vorzustellen, die auch rechts denken. Irgendwann erfolgt dann vielleicht auch eine Einladung zu einem etwas anderen Training. Der neonazistische “Dritte Weg“ unterhält beispielsweise innerhalb seiner Parteistruktur eine eigene AG „Körper und Geist“, die sich dem Kampfsport verschrieben hat und Selbstverteidigungskurse und andere Trainings anbietet.

Dabei wird nach außen hin immer von Selbstverteidigung gesprochen, die gegen den politischen Gegner, gegen Mobbing oder gegen Überfälle auf der Straße gerichtet sei. Diffuse Bedrohungsszenarien und Ängste werden hier genutzt und ein klares Feindbild entgegen gesetzt. Gewalt an Frauen findet leider überall in der Gesellschaft statt, und die meisten Täter kommen aus dem direkten Nahbereich des Opfers. Die Rechte stellt jedoch Muslime oder Araber als Haupttätergruppe dar.[6] Somit richtet sich die angebotene „Selbstverteidigung“ unmittelbar auch gegen Menschen mit dieser Religions- und/oder kulturellen Zugehörigkeit.

2.    Vernetzung

Kampfsportevents müssen organisiert werden. Dafür braucht es Personen aus verschiedenen Zusammenhängen und mit verschiedenen Erfahrungen sowie Zugang zu Infrastruktur. Es gibt Anlässe sich regelmäßig zu treffen und neben der Organisation der Events auch die politische Arbeit zu besprechen. Bei den Events selbst treffen sich führende Köpfe verschiedener Organisationen aus vielen Ländern und Regionen und erhalten die Gelegenheit sich auszutauschen und gemeinsame Aktionen zu planen. Auch dienen sie dazu die Szene zu einen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Für junge Menschen, die zum ersten Mal an einem solchen Event teilnehmen, dienen sie auch als Initiationsritus: Sie sind nun Teil eines inneren Kreises, zu dem nicht jeder Zugang erhält. Diese Events sind nicht öffentlich, da man in der Öffentlichkeit nur die Teile des Events sehen möchte, die man selbst nach außen präsentiert.

Kampfsport ist außerdem ein Feld, in dem verschiedene Personengruppen zusammenkommen. Bei Rechtsrockkonzerten treffen sich beispielsweise vor allem Menschen, die auf diese Art der Musik stehen. Kampfsport bietet für Hooligans, Rockergruppen und Menschen aus dem Sicherheitsbereich ein gleichermaßen attraktives Feld. Viele Personen aus den genannten Spektren begreifen sich als außerhalb des Systems stehend und haben damit Anknüpfungspunkte in extrem rechte Milieus. Besonders deutlich wurde dieses Potential 2019 bei der Beerdigung von Thomas Haller, einem Dresdener Hooligan, bei der sich Personen aus all den genannten Spektren einfanden und gemeinsam marschierten. Aber auch schon 2014 und 2015 fanden unter dem Label „HOGESA – Hooligans gegen Salafisten“ in Köln Hooligans und die extreme Rechte zusammen und suchten den offenen Kampf mit der Polizei.[7] Kampfsport als gemeinsamer Nenner bringt Akteure dieser Gruppen in gewisser Regelmäßigkeit zusammen und schafft dabei Raum für Netzwerkarbeit.

3.    Geld

Die finanzielle Ebene darf bei allem neben Ideologie und Vernetzung nicht vergessen werden. Eine Vielzahl von Merchandise-Produkten, Modemarken und Events spült regelmäßig Geld in die Kassen von politisch rechten Strukturen. Über diese Gelder lassen sich Druckerzeugnisse, Social-Media Auftritte, Demonstrationen und vieles mehr finanzieren. Über die Höhe der unbestreitbar großen Mengen an Bargeld, die auf Kampfsportevents kursieren, lassen sich nur Vermutungen anstellen.

Neben diesem Geld, das unmittelbar dem politischen Engagement nutzt, können auch Personen innerhalb des eigenen Milieus unterstützt werden. Es ist nicht unbedingt einfach für Menschen, die sich seit Jahren innerhalb der rechten Szene offen engagieren, einen Job zu bekommen und zu behalten. Ihre eigenen Strukturen nutzend versucht die Szene so, ihre Leute in Jobs bringen. Das Spektrum wird dabei größer, von professioneller Medienarbeit über Bühnenbau kommen die Jobs im Kampfsportsektor direkt dazu. Rechte lassen sich zu Trainer*innen ausbilden und haben die Möglichkeit die eigenen Leute zu trainieren oder eben Personengruppen aus den oben genannten Bereichen. In Ostdeutschland existiert das Netzwerk „Vereinigte Türsteher Ostdeutschland“ (VTO), welches ein informeller Zusammenschluss ist, in dem sich Personen aus der Sicherheitsbranche, Hooligans und Rocker vermischen und gegenseitig unterstützen können. Solche Netzwerke bieten Möglichkeiten für Menschen, komplett in dem extrem rechten Milieu aufzugehen und gleichzeitig ihre Lebengrundlage auf diese Art und Weise abzusichern. Entsprechend müssten solche Strukturen ausgetrocknet werden um diesen Gruppierungen nicht nur Geld, sondern auch Personal zu nehmen.

Kampfsport ist nicht rechts!

Trotz der oben dargestellten Möglichkeiten, die Kampfsport für die extreme Rechte bietet, soll noch einmal ausdrücklich erwähnt werden, dass Kampfsport per se nicht rechts ist. Kampfsport ist attraktiv für Rechte und einige Kampfsportarten sind auch beliebter als andere. Kampfsportarten mit einer starken Philosophie - besonders Selbstverteidigungsphilosophie - wie Karate, Jiu Jitsu und Taekwondo sind weniger interessant als Kampsportarten wie MMA, Kickboxen oder Krav Maga. Wichtig ist dennoch: In erster Linie ist Kampfsport eben Sport. In jedem Sportbereich besteht die Möglichkeit auf Personen zu treffen, die unbewusst rechtes Gedankengut äußern oder auch solche, die es verinnerlicht haben. Um diesem Problem zu begegnen gilt es für alle die Augen offen zu halten. Welche Menschen trainieren vor Ort und welche Modemarken tragen sie warum? Informationen über rechte Modemarken finden sich im Online-Auftritt der Kampagne „Runter von der Matte“[8] und auf dasversteckspiel.de.[9] Darüber hinaus lohnt es sich mit den Verantwortlichen des Vereins oder den Betreiber*innen des Studios über diese Themen zu sprechen und Sensibilität zu schaffen. Es kann nützlich sein, in Satzungen der Vereine schon entsprechende Absätze aufzunehmen, die sich klar gegen das Tragen von rechten Symbolen und dem Äußern von rechtem Gedankengut positionieren. So ist für den Fall, dass Personen durch rechte Symbole oder Parolen auffallen, direkt eine Handlungsgrundlage geschaffen. Sollten sich Vereine oder Studios (oder deren Funktionsträger) sich selbst rassistisch, sexistisch oder anderweitig menschenfeindlich positionieren, ist es wichtig, die Betroffenen zu stärken und nicht alleine zu lassen. Es gibt viele Angebote zur Unterstützung Betroffener und gezielte Beratungsangebote zum Umgang mit solchen Situationen.[10] Für den Umgang mit rechten Strukturen kann man sich zudem an die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus wenden oder lokale Initiativen ansprechen[11].

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Quellen:

[1] https://www.belltower.news/verbot-bestaetigt-k-o-fuer-das-rechtsextreme-kampfsport-event-kdn-138737/
[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/fretterode-urteil-ist-ein-skandal-auf-dem-rechten-auge-blind-18322185.html
[3] R. Claus: Ihr Kampf. Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert. Die Werkstatt, Bielefeld (2020). S. 9ff
[4] https://taz.de/Wo-Nazi-Aufkleber-auf-Firmeneigentum-kleben/!5700183/
[5] O. Decker & E. Brähler (Hrsg.): Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität. Psychosozial Verlag, Gießen (2020). S. 68ff
[6] Juliane Lang: Frauen und Mädchen in der extremen Rechten https://www.vielfalt-mediathek.de/wp-content/uploads/2020/12/juliane_lang_mdchen_und_frauen_in_der_extremen_rechten_vielfalt_mediathek_1.pdf
[7] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/die-nachste-rechte-machtdemonstration-droht-5821570.html
[8] https://runtervondermatte.noblogs.org/
[9] https://dasversteckspiel.de/
[10] Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt https://verband-brg.de/
[11] Bundesverband Mobile Beratung e.V. (BMB) https://www.bundesverband-mobile-beratung.de

Text: Jacob Pfeifer, Jugendbildungsreferent, Evangelische Akademie für Land und Jugend Altenkirchen
Bild: Valentin Seger